Die Sache mit der Unendlichkeit

Zurück

Der Kern des systematischen Denkens ist die Einsicht, dass wir uns verabschieden müssen vom linearen Denken. (Paul Watzlawick)


Konrad Lorenz sagte sinngemäß: Der Affe sieht den Mond ebenso wie wir; aber er wird nie begreifen, was das ist. Könnte man analog über Menschen sagen: Sie sehen die unendliche Weite des Universums, werden aber nie begreifen, was das ist?

Woher stammt unser Wunsch oder Wille, sowohl Zeit als auch Raum zu begrenzen, mit jeweils Beginn und Ende? Rühren die erwünschten Ideen von Urknall und Beginn der Zeit daher? Ist die Friedmann-Lösung eines zyklischen Universums attraktiver als die der ewigen Expansion? Wenn schon mit dem Urknall ein Anfang vorliegt, warum gerade ein Nullpunkt vor langer, aber definierten Zeit? Und wann geschieht das Ende des Universums? Und doch wollen wiederum einige Theoretiker die Zeit vor dem Urknall dingfest machen und über das Universum hinaus Multiversen kreieren.

Das Gleichnis von Affe und Mond liegt – so scheint es - nicht so fern.

Kant befand Zeit und Raum als Kategorien des Denkens "A Priori". Konrad Lorenz akzeptierte dies erst nach seinen Entdeckungen über angeborenes Verhaltensweisen, die nach der Geburt unmittelbar auftreten und auch notwendig sind. Ernst Häckel vertrat die These, dass die Ontogenese, der Entwicklung des Individuums, eine geraffte Wiederholung der Phylogenese der evolutiven Artentwicklung ist. Er wusste noch nichts von Genetik und Weitergabe des evoluierten Chromosomensatzes und seine Vermutung wollte nicht so recht akzeptiert werden.

Heute ist bekannt, dass bereits die befruchtete Eizelle die "Bauzeichnung" für das fertige Individuum enthält. Und doch geht die Ontogenese vielzelliger Lebewesen den allgemeinen Weg über Morula, Blastula, Gastrula etc. Nur Alles zum rechten Zeitpunkt. Es muss also auch einen "Kalender" der Reihenfolge der jeweiligen Expression der formgebenden Gene für jeden Teilschritt vorliegen. Dann aber stellt sich die Frage: Wann und überhaupt entstanden im embryonalen Stadium die Kategorien Zeit und Raum?

Über Jean Piaget wird gesagt, dass er wesentliche Erkenntnisse durch genaues Beobachten seiner Kinder gewann. Und diese können Eltern während der beglückenden Phase der ersten Lebensjahre ihres Kindes beobachten. Gleich nach der Geburt irren die Blickrichtungen der Augen unabhängig wirr im Raum herum, was zunächst Befürchtungen auslöst. Schon bald sind die Richtungen beider Augen koordiniert, sodass sie dem Kind ein Gesamtbild vermitten. Bekanntlich bewirkt der Winkel zwischen den Richtungen die Empfindung der Raumtiefe.

Lustig wirken die abrupten Bewegungen der vier Gliedmaßen, die nach der vorherigen Enge nunmehr den Raum physisch empfinden. Hebt Baby bereits den Kopf, so wird es in Bauchlage beginnen zu kriechen, also die x-y-Ebene der Euklidischen Geometrie erfahren. Jetzt gilt es aufzupassen, denn Baby hat die dritte Dimension noch nicht erkannt und wird über den Rand des Wickeltisches abstürzen. Unendlich oft muss der Teddy aufgehoben werden, den Baby immer wieder über den Rand des Kinderwagens hinauswirft. Erst wenn die Tischdecke das Kletterseil für die Erstbesteigung wird, wird Baby den dreidimensionalen Raum wahrnehmen. Damit gestaltet es dann Erfahrung und Leben. Den Hilbertraum oder den der Quantenlooptheoretiker braucht es nicht, solange es nicht Physiker werden will.

Wer je das Klopfen auf den Badewannenrand bei untergetauchtem Kopf erfahren hat, wird einen Eindruck gewinnen, wie Baby den Herzschlag der Mutter, verbunden mit zeitlichem Rhythmus, gehört hat. Tachykardie der Mutter, häufig ausgelöst durch Angst oder Glück, wird Baby ebenfalls erfahren und diesen Rhythmus adaptieren, begleitet von Oxytocin- oder Adrenalinausschüttung? Ängstliche Kinder von ängstlichen Müttern?

Fragt man etwa in Hamburg jemand nach der Entfernung bis München, so wird er gedanklich zergliedern in Strecken bis Hannover, Kassel etc. Fragt man ihn nach dem Rand der Welt, so wird er einen weit entfernten Punkt annehmen und dann gedanklich eine ebenso große Entfernung zufügen und das immer wiederholen. Da sind Ergebnisse, wie sie mit Hilberts Hotel oder Cantors Aleph vergleichbar sind. Letztere sind wenig konkret, vielmehr Denkprothesen oder Mengenlehre.

Stellt man sich ein endliches Universum vor, so wird die unmittelbare Frage sein: Und dahinter? Wir begreifen weder die Endlichkeit noch die Unendlichkeit. So müssen wir die Begrenztheit unserer Erkenntnis erkennen. Und so kann man die Vorstellung von Raum und Zeit ebenso wie Newton axiomatisch als unendliche Größe akzeptieren. Welche Ergebnisse werden sich einstellen, wenn man das Ultra-Deep-Field-Experiment erweitert, indem in diesen Aufnahmen wiederum eine dunkle Stelle einstellt und die Belichtungszeit erheblich verlängert? Allerdings wird die Rotverschiebung extrem wegen der vielen zu passierenden Blasen. Andernfalls wäre Selbstähnlichkeit wahrscheinlich.

Andererseits könnte der - aktuell streitig diskutierte - Dark Flow auf ein weiteres Universum hinweisen; aber warum nur eins? Ist das der erste Schritt zu Multiversen? Bilden auch die wiederum Haufen und ein Hyperversum?

Beginn von Raum und Zeit mit einem Urknall sind Wünsche, dieser Frage auszuweichen, doch sind sie für jede logische und kritische Überlegung unserer Ratio abwegig. Erkennt man das, so ist Demut und das Wissen unserer letztlich begrenzten Erkenntnis die größte Erkenntnis. Ist die Annahme unendlicher Ausdehnung von Raum allein deswegen irreal?

Und trotzdem ist uns aufgegeben, diese Welt zu erkennen und zu erfahren um zu überleben. Das aber findet man im gesamten Tierreich. Schon das Pantoffeltierchen flieht, wenn nch Zugabe eines Tropfens Säure ins Wasser der pH-Wert lokal kleiner wird. Sinnesempfindung ist hier, was wir bei uns als Geschmackssinn bezeichnen.

Analoge Dinge gelten für die Zeit. Nur die Theolgie lässt Gott walten von Ewigkeit zu Ewigkeit – ein axiomatischer Glaubenssatz. Aber das ist keine Physik.

Unsere Vernunft irrt wie eine Ameise auf einer Kugel herum, stets auf der Suche nach einem Anfang und Ende, aber aus Ein- oder Metasicht wissen wir um die Vergeblichkeit. In einem solchen Universum findet das zuvor beschriebene Modell in einfacher Weise seinen Platz.

Zurück

Bernhard Reddemann